Notwendiges Übel oder der schönste Zeitvertreib der Welt?
Wie siehst du das? Schreibst du in einem Genre, das viel Recherche benötigt? Magst du es zu recherchieren?
Die Kunst dabei ist, gezielte Recherche zu betreiben und nicht wie ein Plotbunny von einem interessanten Thema zum nächsten zu hüpfen und am Ende kein Ergebnis vorweisen zu können.
Aber wie macht man das?
Ich gestehe, dass ich Recherche liebe und mich stundenlang darin vergraben kann. Irgendwann kommt dann der Punkt, an dem ich denke, dass ich langsam mal anfangen sollte zu schreiben. 🙂
Da ich also offensichtlich keine guten Tipps zum Thema Recherche geben kann, habe ich mir eine liebe Freundin zum Interview eingeladen.
Nicole Chisholm veröffentlicht historische Abenteuerromane, für deren Authentizität sie sehr viel Recherchearbeit leisten musste.
Fragen wir sie also mal, wie das geht.
Kannst du dich kurz vorstellen? Wie bist du zum Schreiben gekommen und warum hast du dich für dein Genre entschieden?
Hallo Anke!
Ich bin in der Schweiz in Bern zu Hause und mein Leben dreht sich – natürlich nebst Familie und Freunden – um das Schreiben.
Meinen ersten Roman habe ich mit siebzehn geschrieben, Fantasy Romance, und so schlecht, dass ich jedes Mal vor Lachen weinen muss, wenn ich ihn wieder einmal zur Hand nehme.
Während des Linguistikstudiums habe ich nur phasenweise an zwei Büchern geschrieben (die nie veröffentlicht wurden), denn das Lernen, die Nebenjobs (und die Studentenpartys) fraßen meine Zeit auf.
Später arbeitete ich viele Jahre als Redakteurin. Der Alltagstrott holte mich irgendwann ein und rief mir ins Gesicht: Willst du mich noch den Rest deines Lebens ertragen oder machst du auch mal, was dir wirklich gefällt?
Und so habe ich für meinen ersten historischen Roman recherchiert und ihn geschrieben.
Warum dieses Genre? Ich liebe die Geschichte des 19. Jahrhunderts, mag das Britische und Abenteuerliche.
Seit zwei Jahren arbeite ich nun in Vollzeit als Schriftstellerin und gelegentlich als Lektorin.
Du schreibst historische Abenteuerromane, aber auch gerade an einem Thriller. Wie unterscheidet sich die Recherche für beide Genres?
Bislang sind von mir vier historische Abenteuer erschienen – ein Vierteiler, die Weston Saga.
Und ich arbeite in diesem Jahr an drei Thrillern, wobei ich noch nicht weiß, ob alle am Ende etwas taugen werden (meine Testleser sind in den Startlöchern).
Der Unterschied bei der Recherche ist enorm.
Für die historischen Romane habe ich vor dem ersten Wort nahezu ein Jahr recherchiert. In meiner Weston Saga findet sich von dieser Recherche nur etwa 10% wieder, denn ich wollte keine Geschichtsbücher schreiben, sondern spannende Geschichten.
Aber es ist wichtig, mehr zu wissen als nur das, was im Buch vorkommt, damit man ein umfassendes Bild der Epoche bekommt und nicht unwissentlich Fehler begeht. Daran können einen die informierten Leser schnell einmal aufhängen.
Bei den Thrillern nimmt die Recherche weniger Zeit in Anspruch.
Es gibt auch dort Themen, die ich im Vorfeld recherchiere, z.B. über die Berufe von Protagonisten oder über ein bestimmtes Umfeld, in dem der Roman spielt.
Aber über sehr viele Kleinigkeiten (wie z.B. spezielle Hobbys) informiere ich mich entweder direkt beim Schreiben oder erst nachher.
Mir scheint das effizienter.
Wie findest du die Quellen für deine Recherche?
Als Erstes schaue ich immer im Internet nach. Für Details reicht das.
Bei Themen, die für das Buch im größeren Ausmaß von Bedeutung sind, kaufe ich mir meistens ein Fachbuch und/oder hole mir die Informationen von einer Person, die sich mit diesem Thema auskennt.
Glücklicherweise befinden sich in meinem Freundeskreis eine Staatsanwältin, ein Arzt und eine Psychologin. Sie kann ich immer zurate ziehen, wenn ich Fragen habe.
Und ein Bekannter ist Polizist, den ich für meine Thriller anschreiben kann.
Die Vernetzung mit Leuten aus verschiedenen Berufen ist also von Vorteil.
Welche Quellen kannst du empfehlen? Literatur, Vorlesungen, Dokumentationen?
Wikipedia ist immer ein guter Freund für Schreibende. Wenn man es aber genau wissen möchte, sollte man sich, wenn möglich, mit Zweitquellen absichern.
Bei wissenschaftlichen Themen findet man im Netz allerlei Blogs von Fachpersonen (z.B. Historiker, die über gewisse Themen Essays verfassen).
Ein sehr guter Tipp ist es auch, sich bei Museen zu erkundigen.
Es gibt ja fast zu allen Themen – von Geschichte, Naturwissenschaften, Kunst und Kultur bis hin zu Kommunikationsthemen – Museen, und dort arbeiten oft ganz kluge Menschen, die sich wirklich ins Zeug legen und einem sehr motiviert Antwort geben.
Gerade im Bereich Seefahrt und historische Gebäude habe ich für meine historischen Romane von Museumsmitarbeitern sehr gute Informationen erhalten, die ich niemals in Wikipedia gefunden hätte.
Es gibt aber auch Stolpersteine bei der Recherche.
Wenn man Infos über ein vergangenes Ereignis nachliest, kommt es manchmal vor, dass sich Experten nicht einig sind. Der eine behauptet dies, die andere jenes.
Da steht man als Schriftsteller/-in dann da und fragt sich, welcher Quelle man nun glauben soll.
In diesem Fall empfiehlt es sich, alte Zeitungsartikel zu diesem Ereignis zu lesen (sofern es zu dieser Zeit schon Zeitungen gab, versteht sich). In diesen Artikeln findet man oft Originalstimmen, d.h. Aussagen von Menschen, die dieses Ereignis selbst miterlebt haben.
Natürlich sind diese Aussagen subjektiv, aber es gibt ein authentischeres Bild und hilft einem zu entscheiden, inwiefern man das Ereignis im eigenen Buch darstellen will.
Altes Pressematerial findet sich fast von allen namhaften Zeitungen in digitalisierten Archiven, die über das Internet zugänglich sind.
Plottest du und notierst dir dann die Dinge, die du noch recherchieren willst? Oder hast du zunächst ein Thema, recherchierst, und findest dann den Plot?
Im Vorfeld, also noch vor dem Plotten, knie ich mich in das Hauptthema hinein.
Nicht nur, weil ich dann besser im Fluss schreiben kann, sondern auch, weil die Recherche an sich mich inspiriert und den Plot auf die eine oder andere Weise beeinflussen kann.
Wenn man viel über etwas weiß, fliegen einem die Konflikte auf einmal nur so zu.
Aber man sollte sich nicht von zu vielen Details aufhalten lassen und vom Hundertsten ins Tausendste gehen, sonst droht die „Aufschieberitis“.
Details, die in einer Geschichte nur an einem Punkt wichtig werden, notiere ich mir während des Erstentwurfs und schlage sie nachher nach.
Führst du Interviews mit Experten? Falls ja, wie bereitest du dich darauf vor und wie findest du sie, bzw. kontaktierst sie?
Wie zuvor schon gesagt, zunächst gibt es in meinem Freundes- und Bekanntenkreis Experten, die ich um Hilfe bitten kann.
Einmal habe ich auch mal einen Sprengmeister angefragt (in der Schweiz gibt es nur eine Handvoll, die darin ausgebildet sind).
Ich habe ihn persönlich getroffen und mir von ihm die genauen Schritte einer Häusersprengung erklären lassen. Das war wirklich ein interessantes Tête-à-tête.
Es gibt viele offene Menschen, die sich sogar geehrt fühlen, für einen Schreibenden aus ihrem Nähkästchen zu plaudern.
Diese direkten Kontakte lohnen sich sehr.
Am Ende ist es natürlich immer eine gute Idee, diese Personen am Ende des Buches im Dankeswort zu erwähnen.
Wie viel Zeit verwendest du für Recherche?
Das kommt auf das Buch an.
Vor dem ersten Band der Weston Saga habe ich ein Jahr lang nur recherchiert. Natürlich nicht Vollzeit.
Damals war ich noch angestellt und hatte nur einzelne Stunden pro Woche zur Verfügung.
Als die Wissensbasis dann einmal stand, habe ich für die weiteren Bände noch einmal gewisse Themen recherchiert.
Für den letzten Band, bei dem die Protagonisten in die Schlacht von Waterloo geraten, habe ich zwei Wochen intensiv nur diese Schlacht studiert und zwei Bücher dazu gelesen.
Bei den Thrillern, an denen ich aktuell arbeite, habe ich im Vergleich dazu nur sehr wenig recherchiert.
Da werde ich die noch offenen Punkte im Nachhinein, also nach dem Erstentwurf, in Erfahrung bringen.
Wann merkst du, dass du genug weißt?
Schwierige Frage.
Oft erstelle ich von den Themen, die ich recherchieren will, eine Liste und hake die Punkte nach und nach ab.
So gelange ich zur Basis, die ausreichen sollte, um mit dem Schreiben loszulegen.
Ob es dann reicht für das aktuelle Buch, merke ich erst, wenn ich zu schreiben anfange.
Deshalb als Tipp: Wenn man unsicher ist, ob die Recherche ausreichend ist, empfiehlt es sich, ein paar Kapitel zu schreiben.
Wenn es harzt und man das Gefühl hat, nicht vom Fleck zu kommen, sollte man einen Schritt zurück und noch weiter recherchieren.
Ansonsten: Schreiben, schreiben, schreiben!
Vielen herzlichen Dank, Nicole!
Wenn du mehr über sie und ihre Weston Saga erfahren möchtest, schau gerne auf ihrer Seite vorbei. Ich bin mir sehr sicher, dass sie dir auch gerne noch weiterführende Fragen beantwortet. 🙂
Hier die (wie ich finde wunderschönen) Cover ihrer Saga:
Zum Abschluss teile ich mit dir noch meine persönliche Taktik gegen die „Rechercheritis“:
Plane die Zeit dafür ein und dann halte dich auch an dieses Zeitlimit.
Ich recherchiere niemals, wenn eigentlich Schreibzeit ist. Dann mache ich mir lediglich eine Notiz im Dokument für später.
Bevor ich anfange zu recherchieren, lege ich ein Thema fest und stelle mir den Wecker. Wenn der klingelt, zwinge ich mich dazu, mit der Recherche aufzuhören!
Ich hoffe wir konnten dir mit dem Interview ein wenig weiterhelfen.
Hast du noch mehr Fragen an Nicole oder mich? Dann schreib mir gerne an lektorin.anke.mueller@gmail.com oder hinterlasse einen Kommentar unter dem Beitrag.
Eine Übersicht meiner Dienstleistungen findest du im Bereich „Lektorat“ auf dieser Seite.
Lass uns gemeinsam Geschichte schreiben.
Alles Liebe,
Anke